Der Fall Wirecard wirft verwickelte Haftungsfragen auf. Nicht minder schwierig ist das Terrain der D&O-Versicherung, auf dem der frühere Vorstandsvorsitzende Markus Braun bereits mehrere Gerichtsverfahren angestrengt hat.[1] Von allgemeinerem Interesse für D&O-Versicherer ist aber ein neues, ausführliches Urteil des OLG Frankfurt zur Klage eines anderen Wirecard-Managers, nämlich des früheren Leiters der Buchhaltung, der die Kosten für seine Rechtsverteidigung und für Public Relations – Berater erstattet bekommen wollte. Das OLG Frankfurt wies die Klage gegen den Versicherer ab, weil die Deckungssumme ausgeschöpft war, und spricht in seinem Urteil zentrale deckungsrechtliche Fragen an, insbesondere, wie Deckungssummen zu verteilen sind, wenn sie nicht für alle Schäden ausreichen.[2] Ein Teil der abgehandelten Fragen stellt sich in der Praxis oft und ist neuralgisch. Das Urteil ist sorgfältig und breit begründet. Es sei daher auf unserem Blog skizziert, auch wenn das OLG die Revision zugelassen hat, das letzte Wort also noch nicht gesprochen ist.
- Worum ging es?
Der Kläger verlangte D&O - Versicherungsschutz für die anwaltliche presserechtliche sowie medienmäßige Verteidigung gegen schädliche Medienberichterstattung (vom OLG insgesamt als Public Relations-Kosten / PR-Kosten bezeichnet). Die Bedingungen der D&O-versicherung erfassten solche Kosten mit bestimmten Sub-Limits Die Gesamtversicherungssumme für die Versicherungsperiode 2019 betrug EUR 25 Mio., die für 2020 EUR 15 Mio. Im Zusammenhang mit den Vorgängen bei Wirecard werden gegen den Kläger und andere Manager Strafverfahren wegen gewerbsmäßigem Bandenbetrug, Untreue und Beihilfe zur Marktmanipulation geführt. Der Kläger weist alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe als unbegründet zurück und verlangte Versicherungsschutz für seine Verteidigung im Strafverfahren einschließlich Haftprüfungsverfahren und Vermögensarrest sowie für PR-Kosten zu gewähren. Die Versicherung lehnte all‘ dies zwar zunächst ab, wurde jedoch in einstweiligen Verfügungsverfahren von LG und OLG Frankfurt angewiesen, vorläufige Deckung zu gewähren.[3] Hinsichtlich der PR-Kosten verweigerte die Versicherung eine förmliche Deckungszusage. Dies führte zu dem jetzt vorliegenden Urteil. Der Kläger trug vor, er sei kritischer Medienberichterstattung ausgesetzt gewesen, die den Ruf der betroffenen Person habe schädigen und die berufliche Zukunft habe gefährden können. Die Versicherung wandte ein, die Gewährung von PR-Kosten komme - auch im Rahmen einer versichertenfreundlichen Auslegung - nur dann in Betracht, wenn eine kritische Medienberichterstattung über einen versicherten Haftpflicht-Versicherungsfall vorliege; daran fehle es hier. Eine Verkürzung des Versicherungsschutzes sei nicht zu befürchten, da es sich bei der betreffenden Zusage um eine Deckungserweiterung handele. Zudem könne ein versicherter Reputationsschaden nicht durch eine zutreffende und objektive Medienberichterstattung eintreten, zumal das presserechtliche Vorgehen gegen die Berichterstattung erfolglos gewesen sei. Im weiteren Verlauf des Prozesses wandte die Versicherung ein, die Deckungssumme 2020 sei mittlerweile für die Ansprüche anderer Manager verbraucht. Darauf verlangte der Kläger Zahlung aus der Deckungssumme für 2019 und machte geltend, die Versicherung habe den Kläger bei Verteilung der Deckungssumme 2020 nicht unberücksichtigt lassen dürfen.
- Erschöpfung der Gesamtversicherungssumme
- Ausgangspunkt
- Erschöpfung der Gesamtversicherungssumme
Das OLG bestätigte zunächst, dass die Versicherung die Deckung ablehnen kann, sobald die Gesamtversicherungssumme erschöpft ist, und zwar auch, wenn die bisherigen Deckungszahlungen an andere Versicherte gegangen sind.
Erfüllungswirkung nach § 362 BGB trete auch bei „Erbringung der bedingungsgemäßen Versicherungsleistung an andere Versicherte“ ein. Dass auch dem Kläger dem Grunde nach Leistungsansprüche zustehen konnten, ändere hieran nichts. Die Gesamtversicherungssumme sei in zulässiger Weise vereinbart gewesen. Die Festlegung einer Gesamtversicherungssumme für einen Verfahrensrechtsschutzfall sowie für zeitlich und ursächlich zusammenhängende Verfahrensrechtsschutzfälle sei „grundsätzlich wirksam“ und halte sowohl einer AGB-rechtlichen Klauselkontrolle als auch einer Kontrolle nach § 242 BGB stand. All‘ dies fußt auf fundamentalen Überlegungen zur Verteilung der Versicherungssumme und der Natur der D&O - Versicherung.
- Anrechnung
Das OLG hält fest, dass grundsätzlich sämtliche vom Versicherer in einem Versicherungsfall erbrachten Leistungen die Versicherungssumme verbrauchen, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.[4] Auch im Streitfall war jedoch nichts anderes vereinbart; im Gegenteil, die Versicherungsbedingungen enthielten eine Kostenanrechnungsklausel. Im juristischen Meinungsstreit um deren Wirksamkeit[5] schlug sich das OLG auf die Seite der Befürworter der Wirksamkeit, weil die beteiligten Verkehrskreise nicht erwarten könnten, dass die Versicherung mehrmals leisten werde.
- Pflichten der Versicherung bei Verteilung der Versicherungssumme
Anderes ergibt sich nach dem OLG auch nicht aus dem Umstand, dass aus einer D&O-Versicherungssumme oftmals ganz unterschiedliche Kosten und Beteiligte bedient werden: Es bestehe zwar z.B. das Risiko, dass die geltend gemachte Schadensersatzforderung nach erfolgloser Anspruchsabwehr die verbleibende Versicherungssumme übersteige und die versicherte Person dann für den Rest selbst aufkommen müsse, was durch das Erfüllungswahlrecht des Versicherers verschärft werde. Das OLG folgt hier aber dem Gegeneinwand, dass dies Folge der eingekauften, begrenzten Versicherungssumme sei und sich durch eine „ausreichend bemessene Versicherungssumme“ vermeiden lasse.[6] Abwehrkosten lassen sich, so das OLG, zudem kaum im Voraus kalkulieren und können hoch sein. Das kalkulatorische Risiko fiele bei Nichtanrechnung daher wesentlich größer aus als bei anderen Versicherungstypen und würde die D&O-Versicherung in ihrer aktuellen Erscheinungsform grundsätzlich in Frage stellen.
Dies führte das OLG naturgemäß zur Frage der Repartierung in Fällen, in denen abzusehen ist, dass die Versicherungssumme nicht für alle Schäden ausreicht. Nach dem OLG kann der Versicherer hier grundsätzlich nach dem Prioritätsprinzip vorgehen und muss nicht repartieren: Zwar könne sich der Versicherer wegen Rechtsmissbrauchs dann nicht auf Erschöpfung berufen, wenn mehrere Versicherte Anspruch auf dieselbe Versicherungssumme haben und sich der vom Versicherer gewählte Verteilungsmaßstab als evident unzulässig erweist (Rechtsgedanke des § 109 Satz 2 VVG), zumal der Versicherer als eine Art Treuhänder über die Versicherungssumme fungiere. Treuwidriges Verhalten, nämlich „evident unzulässige Verteilung der Versicherungssumme unter den Versicherten“, entlastet die Versicherung nicht. Im Streitfall hielt das OLG das Vorgehen der Versicherung für zulässig, da sie unter Zugrundelegung des Prioritätsprinzips nach dem Zeitpunkt der Entstehung der jeweiligen Leistungspflicht erstattet hat. Hierzu sei die Versicherung in Ermangelung einer anderweitigen gesetzlichen oder vertraglichen Regelung grundsätzlich befugt. Eine gefestigte Vertragspraxis, die sich ausdrücklich mit der Frage der Verteilung einer nicht ausreichenden Versicherungssumme auf mehrere Versicherte im Rahmen einer Gruppenversicherung beschäftigt, gebe es derzeit nicht. Eine Verteilung nach dem Proportionalitätsprinzip gemäß § 109 VVG (analog) würde überdies dazu führen, dass derjenige Versicherte, der den größten Schaden verursacht hat, am meisten profitiert, und passe daher ebensowenig wie das Kopfprinzip (§ 430 BGB) oder §§ 428, 432 BGB. Für die bei der Abwicklung von Versicherungsverträgen übliche Vorgehensweise nach dem Prinzip der Priorität sprächen somit die überwiegenden Gründe.
- Anwendbare Versicherungssumme: Versicherungsfall und Umstandsmeldung
Strittig war im Streitfall freilich, ob der Kläger auf die (größere und nicht erschöpfte) Versicherungssumme des Versicherungsjahrs 2019 zurückgreifen konnte, nachdem die Versicherung Erschöpfung der Versicherungssumme für 2020 einwandte. Das OLG verneinte das, weil weder eine wirksame Umstandsmeldung für 2019, noch ein mit 2019 verknüpfter Serienschaden vorlag:
- Umstandsmeldung
Versicherungsschutz wird grundsätzlich zu den Bedingungen der Versicherungsperiode (und der dafür geltenden Versicherungssumme) gewährt, die läuft, wenn der „Versicherungsfall“ eintritt.[7] Der Eintritt des „Versicherungsfalls“ entscheidet damit auch über die anwendbare Versicherungssumme. „Versicherungsfall“ wiederum ist nach den D&O-Versicherungsbedingungen typischerweise die erste Inanspruchnahme oder die Einleitung des ersten Verfahrens („claims made-“ oder Ansprucherhebungs- Prinzip). Manche Klauselwerke modifizieren dies, z.B. für den Fall, dass dann, wenn während einer Versicherungsperiode Umstände entdeckt werden, die wahrscheinlich zu einem Versicherungsfall führen, diese dem Versicherer vorsorglich angezeigt werden („Umstandsmeldung“). Ein auf diesen Umständen beruhender Versicherungsfall gilt in der Versicherungsperiode als eingetreten, in der die Umstandsmeldung erstmals erfolgt ist.
Im Streitfall hielt das OLG den Versicherungsfall im Jahr 2020 eingetreten (ad-hoc-Mitteilung von Wirecard). Eine Umstandsmeldung in 2019 verneinte das OLG. Zwar hatte es 2019 ein als “circumstance reporting“ bezeichnetes Schreiben gegeben. Nach den streitgegenständlichen Bedingungen war für eine wirksame Umstandsmeldung jedoch die Bezeichnung der potentiellen Pflichtverletzung einer bestimmten versicherten Person, des möglichen Schadens und des potentiellen Anspruchstellers beziehungsweise des potentiellen Verfahrens erforderlich. Die Umstandsmeldung ersetzt nicht den Versicherungsfall, sondern trifft lediglich eine Regelung für den Fall, dass künftig ein Versicherungsfall eintritt,[8] und erhält auf diese Weise den rechtlichen status quo (also hier die Versicherungssumme 2019). Nach dem Bedingungen genügte es aber nicht, lediglich allgemein Umstände zu benennen, die möglicherweise zu wirtschaftlichen Folgen führen können. Die mögliche spätere Inanspruchnahme muss soweit konkretisiert und präzisiert sein, dass der Versicherer sein fortbestehendes Eintrittsrisiko kalkulieren und bilanzieren kann.
- Serienschaden
Ferner argumentierte der Kläger, Wirecard sei bereits 2019 in den USA mit einer Sammelklage überzogen worden, und diese US-Klage bilde mit den Ansprüchen gegen den Kläger im vorliegenden Verfahren einen Serienschaden. Das OLG lehnte auch dies ab: Zunächst seien Ansprüche, wie sie in den USA geltend gemacht worden seien, von der Deckung der streitgegenständlichen D&O-versicherung gerade ausgeschlossen. Ein solcher nicht vom Versicherungsschutz umfasster Sachverhalt könne aber nicht als Anknüpfungspunkt für einen Serienschaden dienen. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck der Serienschadensklausel sowie aus ihrer Systematik.
Serienschadensklauseln dienten der Risikobegrenzung. Hiermit sei eine Auslegung, die zu einer Ausweitung der Haftung des Versicherers führen würde, nicht vereinbar. Ansonsten bestünde die Möglichkeit, trotz offensichtlich nicht versicherter Umstände einen Versicherungsfall zu generieren, der dann maßgeblich für die zugrunde zu legende Versicherungsperiode und deren Bedingungen wird. Es sei zudem treuwidrig, wenn „der Kläger die vom Versicherungsschutz unstreitig ausgeschlossene Sammelklage in den USA als Vorwand für die Erreichung einer ihm günstigen Serienverknüpfung nutzen will.“
- Anspruch auf Gewährung von Versicherungsschutz für PR-Kosten
- Reichweite der Deckung von PR-Kosten
- Anspruch auf Gewährung von Versicherungsschutz für PR-Kosten
Den Anspruch auf Deckung der PR-Kosten bejahte das OLG nach den im Streitfall anwendbaren Versicherungsbedingungen. Es handele sich um eine sogenannte Assistance-Leistung als zusätzliche Unterstützungsleistung im Rahmen der vereinbarten erweiterten Leistungspflicht der Antragsgegnerin, den der Versicherte nach Eintritt des Versicherungsfalls verlangen könne. Es liege ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall vor, da gegen den Kläger wegen angeblicher Pflichtverletzungen in Ausübung seiner Tätigkeit als versicherte Person von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Das OLG lehnte den Einwand der Versicherung ab, PR-Kosten müssten nur gedeckt werden, soweit sich die Medienberichterstattung auf konkrete Haftpflicht-Versicherungsfälle in Zusammenhang mit Zivilklageverfahren beziehe. Dies widerspreche den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen. In diesem Zusammenhang bestätigt das OLG einmal mehr, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Überdies, so das OLG, würde die von der Versicherung vorgetragene Auslegung „zu erheblichen Deckungslücken“ führen.
- Verhältnis zur Strafrechtsschutzversicherung
Das OLG verwischt damit die systematischen Kategorien der Versicherer, die zwischen Zivil- und Strafrechtsschutz unterscheiden. PR-Kosten werden häufig dem Strafrechtsschutz zugeordnet, und so führte die Versicherung auch im Fall vor dem OLG Frankfurt aus, dass in der Mehrzahl der unter einer D&O-Versicherung gemeldeten Fälle der Vorwurf regelmäßig auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung der in Anspruch genommenen Person liege. Fälle mit Strafrechtsrelevenz seien die Ausnahme. Ferner handle es sich bei der PR-Kostendeckung lediglich um eine speziell von der Beklagten gewährte Deckungserweiterung, und üblicherweise würden auf dem Markt spezielle Strafrechtsschutzversicherungen angeboten. Das OLG wischte dies mit dem Argument beiseite, all‘ dies sei dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht geläufig und die Deckungserweiterung sei restriktiv auszulegen.
Fazit: Einschränkungen der Deckungserweiterungen für PR – Kosten müssen klar formuliert sein.
- Angemessener Stundensatz
Den Stundensatz von EUR 450 für die presserechtliche Vertretung hielten die Parteien und das OLG ohne weiteres für angemessen.
- Schlussfolgerungen für die Praxis
Einschränkungen der Deckungserweiterungen für PR – Kosten müssen klar formuliert sein.
Dem Zeitpunkt zu dem versicherte Personen oder Versicherungsnehmer dem Versicherung die potenzielle Inanspruchnahme anzeigen, kann erhebliche Bedeutung zukommen, insbesondere, wenn sich Versicherungssummen ändern.
Die Versicherung kann sich grundsätzlich auf Erschöpfung der Versicherungssumme durch Zahlungen zugunsten anderer Versicherter berufen, solange sie die Beträge nicht willkürlich oder rechtsmissbräuchlich verteilt. Eine Verteilung nach dem Prioritätsprinzip (first come, first serve) ist in der Regel nicht zu beanstanden. Das kann zu einem Wettlauf der Versicherten (Windhundrennen) führen. Das erhöht die Bedeutung des vorstehenden Punkts weiter.
Es ist zulässig, auch PR- und Verteidigungskosten auf die Versicherungssumme anzurechnen.
[1] Z.B. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.09.2023 - Az. 4 U 117/23.
[2] Urt. v. 29.11.2024 - Az. 7 U 82/22.
[3] OLG Frankfurt, Beschl. v. 04.08.2021 - Az. 7 W 13/21.
[4] Lange, r+s 2024, 891, Rn. 9.
[5] Zur h. M.: Lange, r+s 2024, 891, Rn. 49; Armbrüster, NJW 2016, 897, 898; Doralt, ZGR 2019, 996, 1038; Malek/Schütz, r+s 2019, 421, 428 f.; Seitz/Finkel/Klimke, D&O-Versicherung, 2016, Ziff. 4 AVB-AVG, Rn. 59 ff.; a. A. Prölss/Martin/Voit, VVG, 32. Auflage 2024, AVB D&O A-6.4 Rn. 2; HK-VVG/Schimikowski, 5. Auflage 2024, § 101 Rn. 4; Säcker, VersR 2005, 10, 14 ff.
[6] Vgl. Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Auflage 2022, § 15 Rn. 28.
[7] Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Auflage 2022, § 9 Rn. 2.
[8] Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Auflage 2022, § 9 Rn. 127.