Managerhaftung bei Insolvenzverschleppung - Streifzug 4: Neues BGH-Urteil zu Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähigkeit

Rechtsverstöße bei Insolvenzverschleppung bilden nach Fallzahlen den Schwerpunkt der Manager-Haftung. Daher unternehmen wir auf unserem Blog von Zeit zu Zeit Streifzüge durch praktische Aspekte diese Themenbereichs, denen vor Gericht und im Vergleichsgespräch Bedeutung zukommen kann. Der folgende Beitrag ist der vierte dieser Streifzüge und erörtert die Kriterien, die nach einem Urteil des BGH vom 25.01.2025[1] für die „Zahlungseinstellung“ als Indiz für die Zahlungsunfähigkeit gelten. Das Urteil ist zwar nicht zur Geschäftsleiterhaftung nach § 15b InsO ergangen, sondern zum Anfechtungsrecht. Der BGH bestätigt aber die bisherige Linie, dass die Begriffe Zahlungsunfähigkeit und -einstellung in beiden Bereichen gleich ausgelegt werden müssen. Es ist daher auch für die Mangerhaftung bedeutsam. Das Urteil bestätigt: Die beiden Tatbestände sind vielschichtig und in der Tat kreisen viele Auseinandersetzungen um die praktischen Schwierigkeiten, die ihre Auslegung und ihr Nachweis mit sich bringen.

    1. § 15b InsO: Ausgangspunkte

Vgl. dazu Streifzug 1 vom 20.08.2024.

    1. Fragen rund um die Zahlungsunfähigkeit: Rechtliche Tomograhien

Vgl. dazu Streifzug 2 vom 06.10.2024 und Streifzug 3 vom 06.01.2025.

    1. Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähigkeit
      1. Ausgangspunkt

Nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit „in der Regel“ anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Dies ist nach dem BGH der Fall, wenn die Zahlungseinstellung auf einem Mangel an Zahlungsmitteln beruht, dies für die beteiligten Verkehrskreise hinreichend erkennbar geworden ist, und die Einstellung den wesentlichen Teil der Zahlungsverpflichtungen ausmacht. Eigene Erklärungen des Schuldners, wesentliche Beträge nicht binnen drei Wochen zahlen zu können, Bitten um Stundungen sowie eine Fülle weiterer Beweisanzeichen (schleppende Zahlungen, mangelnde Reaktion auf Zahlungsaufforderungen, Nichteinhaltung von Zahlungsvereinbarungen, Offenbarung von Mittelknappheit etc.) können nach der Rechtsprechung des BGH je nach Lage im Einzelfall auf Zahlungseinstellung hindeuten.[2]

Die Zahlungseinstellung kann nach dem BGH auch aus einem einzigen Indiz gefolgert werden, wenn dieses Indiz eine hinreichende Aussagekraft hat. Fehlt es an einem hinreichend aussagekräftigen einzelnen Indiz, kommt der Schluss auf eine Zahlungseinstellung nur in Betracht, wenn die Gesamtheit der Indizien die volle richterliche Überzeugung einer Zahlungseinstellung rechtfertigt.[3]

Es liegt auf der Hand, dass die Sachverhalte komplex und die Darlegungs- und Beweislast entsprechend schwer ist. Die Rechtsprechung hilft jedoch dem Beweisbelasteten, indem sie z.B. nicht sklavisch die Einreichung einer Liquiditätsbilanz verlangt, wenn er substantiiert Indizien für oder gegen den betreffenden Gesichtspunkt vorträgt.[4]

      1. Urteil des BGH vom 25.01.2025

Wie schwierig es vor Gericht sein kann, die Zahlungseinstellung festzustellen, zeigt ein Urteil des BGH (IX. Zivilsenat) vom 25.01.2025[5]. In dem Fall hatte das LG Zahlungseinstellung bejaht, das OLG diese verneint, und der BGH sah sich angesichts des OLG-Urteils veranlasst, seine Rechtsprechung zum Hin und Her zwischen gesetzlicher Vermutung und Indizienbeweis nochmals ausführlich darzustellen. Das Gericht führt aus: Zahlungsunfähig ist, wer nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die Zahlungsunfähigkeit kann, so der BGH, durch Aufstellung eines Liquiditätsstatus nachgewiesen werden. Der BGH trägt hier mit seiner terminologischen Unstetigkeit freilich selbst zur Unsicherheit bei: Gemeint ist hier offenbar der stichtagsbezogene „Finanzstatus“ (der BGH spricht in der Tat bisweilen auch von „Liquiditätsstatus“). Dieser hat die zu einem Stichtag verfügbaren Finanzmittel den zu diesem Stichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenüberzustellen.[6] Weist der Finanzstatus aus, dass der Schuldner seine fälligen Zahlungsverpflichtungen erfüllen kann, ist zum betreffenden Stichtag Zahlungsunfähigkeit zu verneinen. Ergibt sich aus dem Finanzstatus das Gegenteil, so müssen der Finanzstatus um eine Prognose für die nächsten drei Wochen ergänzt und die beiden Rechnungen sodann in einer „Liquiditätsbilanz“ zusammengeführt werden. In seinem Urteil vom 25.01.2025 geht der BGH aber auf das Erfordernis eines dreiwöchigen Finanzplans nicht ein. Vielmehr wendet er sich sogleich dem Hauptstreitpunkt des Verfahrens zu, nämlich § 17 Abs. 2 S. 1 InsO, und führt aus, auch ein „Liquiditätsstatus“ sei entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründe.[7] Entscheidend für die Feststellung der Zahlungseinstellung sei die Überzeugung des Gerichts nach § 286 ZPO, der Schuldner könne aus Mangel an liquiden Zahlungsmitteln nicht zahlen. Besondere Aussagekraft misst der BGH in diesem Zusammenhang einer eigenen Erklärung des Schuldners bei, eine fällige und nicht nur unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen drei Wochen nicht - und zwar auch nicht nur ratenweise - begleichen zu können. Hiermit verdeutlicht der BGH en passant, dass der - zunächst für die „Zahlungsunfähigkeit“ entwickelte - Drei-Wochen-Zeitraum auch im Rahmen der Zahlungseinstellung Belang hat. Denn die Formulierung statuiert auch für Zwecke der Zahlungseinstellung einen dreiwöchigen Betrachtungszeitraum für die Möglichkeit zur Begleichung von Verbindlichkeiten, sei es per Einmalzahlung, sei es per Ratenzahlung. Dies nimmt nicht Wunder, weil den Regeln zu Insolvenzantragspflicht und Anfechtung materielle Grundentscheidungen zugrunde liegen[8], die sich in allen Tatbeständen Bahn brechen.

Einer eigenen Erklärung des Schuldners, es sei zahlungsunfähig, kommt nach dem BGH (Rn. 16) im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 286 ZPO besonderes Gewicht zu; fehlt es daran, „müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen“. Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, reichen dafür nach „häufig“ nicht. Es müssen nach dem BGH dann Umstände hinzutreten, die mit hinreichender Gewissheit dafür sprechen, dass die Zahlungsverzögerung auf fehlender Liquidität des Schuldners beruht. Solche Umstände können darin liegen, dass der Schuldner Forderungen solcher Gläubiger nicht begleicht, auf deren (weitere) Leistungserbringung er zur Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs angewiesen ist, oder auch in „Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck“. Immer soll es auf den konkreten Einzelfall ankommen. [9]

      1. Offene und offen gebliebene Verbindlichkeiten

Der BGH wiederholt auch seine Rechtsprechung, wonach es ein „deutliches Indiz für die Zahlungseinstellung“ sei, wenn im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden haben, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind.[10] In einem Anfechtungsprozess sind hierzu auch die Verbindlichkeiten zu zählen, die Gegenstand des Anfechtungsprozesses sind. Das OLG hatte dies anders gesehen; in der Tat leuchtet die Position des BGH auf den ersten Blick nicht ein, weil die betreffenden Verbindlichkeiten im Anfechtungsfall ja gerade bezahlt worden sind. Im Streitfall hatte der BGH aber den Umstand im Blick, dass der Empfänger der angefochtenen Zahlung sein Geld erst nach Zwangsvollstreckung in ein Bankkonto des Schuldners und weiterem Warten bis zum ersten Zahlungseingang auf dem Konto erhalten hatte.

Das OLG hatte demgegenüber allerdings angenommen, im Falle einer Zwangsvollstreckung könne die zwangsweise durchgesetzte Forderung nicht als Indiz für eine Zahlungseinstellung herhalten, weil andernfalls durch Zwangsvollstreckung erlangte Deckungen stets nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar wären. Dem folgt der BGH nicht, da das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner nicht selten der einzige Anknüpfungspunkt für die Prüfung von Anfechtungstatbeständen sei, welche die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraussetzen (Rn. 22).

Darüber hinaus wiederholt und verstärkt der BGH (Rn. 25 ff) seine bisherige Position, die er zur Bedeutung von offenen und bis Verfahrenseröffnung offen gebliebenen Verbindlichkeiten in seinem bereits erwähnten Urteil von 2022[11] entwickelt hat: Lägen solche offenen und bis Verfahrenseröffnung offen gebliebenen Verbindlichkeiten vor, spreche dies für Zahlungseinstellung auch dann, wenn dem Schuldner „zwischenzeitlich“ Liquidität zufließe, die „ausgereicht hätte, um die Verbindlichkeiten zu erfüllen“. Der Umstand, dass die Verbindlichkeiten im Streitfall trotz des Zahlungseingangs fortbestanden und bis zur Eröffnung nicht mehr beglichen wurden, spreche nicht gegen, sondern gerade für die eingetretene Zahlungseinstellung. Denn „ersichtlich reichte der Zahlungseingang nicht aus, um auch die sonstigen Verbindlichkeiten zu erfüllen.“

Abschließend betont der BGH aber einmal mehr, dass auch für die Zahlungseinstellung „die Gesamtschau der darauf hindeutenden Beweisanzeichen“ erforderlich ist. Dafür kommt es nicht allein auf die bloße Höhe der Verbindlichkeiten an. Sie kann ausschlaggebend sein, muss es aber nicht. Von Bedeutung seien etwa auch die bereits im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung eingetretene Zeitdauer des Rückstands, die Art der Verbindlichkeiten und die Bedeutung der vom Forderungsgläubiger geschuldeten Gegenleistung für den Geschäftsbetrieb des Schuldners. Für eine Zahlungseinstellung spricht es nach dem BGH insbesondere, wenn nicht nur ein einzelner Gläubiger nicht befriedigt worden ist, sondern eine Mehrzahl.[12]

    1. Fazit

§ 17 Abs. 2 S. 1 ist nicht so einfach anzuwenden, wie er sich liest. Auch die Zahlungseinstellung erfordert die Würdigung aller Umstände.

Aus Praxissicht ist auch im Rahmen des § 17 Abs. 1 S. 2 InsO die Abgrenzung zwischen bloßer Nichtzahlung und Stundungsabreden im Auge zu behalten. Stundungsvereinbarungen schieben die Fälligkeit hinaus, und die betreffenden Verbindlichkeiten sind daher sowohl im Finanzstatus (Liquiditätsstatus), als auch in der Drei-Wochen-Planung entsprechend zeitlich nach hinten zu verschieben. Vor diesem Hintergrund kann eine erfolgreiche Stundungsbitte auch typischerweise nicht als Hinweis auf Zahlungseinstellung gewertet werden.

[1] BGH vom 25.01.2025, IX ZR 41/23, NZI 2025, 185.

[2] Überblick in IDW S 11, Rn. 19 f.

[3] BGH, Urt. v. 28.04.2022 – IX ZR 48/21, Rn. 29 ff.; vgl. dazu im Einzelnen Reuter, Kontroversen um die Zahlungsunfähigkeit zwischen BGH-Senaten und dem Institut der Wirtschaftsprüfer, NZI 2025, 52 ff., sowie Reuter, Blog-Beitrag vom 06.01.2025, https://www.reutercomplianceblog.com/artikel/managerhaftung-bei-insolvenzverschleppung-streifzug-3-widersprueche-zwischen-bgh-und-idw-bei-der-zahlungsunfaehigkeit/.

[4] Z.B. OLG Brandenburg, Urt. v. 02.02.2024, 7 U 175/19, unter Ziff. 1.6, aber auch 1.7 der Entscheidungsgründe, BeckRS 2024, 2662.

[5] BGH, Urt. v. 25.01.2025, IX ZR 41/23, NZI 2025, 185.

[6] BGH, Beschl. v. 19.07.2007 – IX XB 36/07, Rn. 18; IDW S 11, Rn. 26 ff.

[7] A.a.O., Rn. 15, mit Verweis auf BGH, Urt. v. 06.05. 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 14; st.Rspr..

[8] Näher Reuter, Kontroversen um die Zahlungsunfähigkeit zwischen BGH-Senaten und dem Institut der Wirtschaftsprüfer, NZI 2025, 52, 57, sowie Reuter, Blog-Beitrag vom 06.01.2025, https://www.reutercomplianceblog.com/artikel/managerhaftung-bei-insolvenzverschleppung-streifzug-3-widersprueche-zwischen-bgh-und-idw-bei-der-zahlungsunfaehigkeit/.

[9] A.a.O., Rn. 16, mit Verweis auf BGH, Urt. v. 06.05. 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 41; Urt. v. 10.02. 2022 - IX ZR 148/19, ZInsO 2022, 762 Rn. 22.

[10] A.a.O., Rn. 18, mit Verweis auf BGH, Urt. v. 28.04.2022 - IX ZR 48/21, ZInsO 2022, 1498 Rn. 41 mwN; vgl. dazu Reuter, Kontroversen um die Zahlungsunfähigkeit zwischen BGH-Senaten und dem Institut der Wirtschaftsprüfer, NZI 2025, 52, 54, sowie Reuter, Blog-Beitrag vom 06.01.2025, https://www.reutercomplianceblog.com/artikel/managerhaftung-bei-insolvenzverschleppung-streifzug-3-widersprueche-zwischen-bgh-und-idw-bei-der-zahlungsunfaehigkeit/

[11] BGH, Urt. v. 28.04.2022 - IX ZR 48/21, ZInsO 2022, 149.

[12] A.a.O., Rn. 27, mit Verweis auf BGH, Urt. v. 30.06. 2011 - IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 13 ff; v. 29.03. 2012 - IX ZR 40/10, WM 2012, 998, Rn. 15.

  • xing
  • linkedin
  • twitter
Kategorien

,