Sind Unternehmensbußgelder verfassungswidrig?

Die anstehende 9. GWB-Novelle soll die Sanktionen gegen Unternehmen weiter verschärfen. Der Justizminister eines Bundeslandes verlangt gar nach einem Unternehmensstrafrecht: Unternehmen sollen als solche nicht nur mit Bußgeldern, sondern mit Geldstrafen belegt werden, um „Straflosigkeit zu vermeiden“, wenn einzelnen Mitarbeitern kein Verstoß nachgewiesen werden kann. Strafe muss sein, auch wenn man keine Täter findet!

Ist solches Rechtsempfinden richtig? Nein, denn Unternehmensbußgelder treffen die Falschen und erfüllen den Zweck nicht, dem sie dienen sollen: Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat vor kurzem entschieden, Unternehmen seien nicht berechtigt, für Bußgelder, die ihnen von Kartellbehörden auferlegt werden, die betreffenden Manager, also die eigentlich Verantwortlichen, in Regress zu nehmen. Damit wird den Unternehmen zugleich der Rückgriff auf die D&O–Versicherungen abgeschnitten. Ferner sagen die Juristen, dass sich Unternehmen auch nicht selbst gegen Bußgelder versichern dürfen, weil dies den Zweck des Bußgelds vereiteln würde. Unternehmensbußen sollen das „Unternehmen“ treffen, wirtschaftlich also die Aktionäre. Denn „das Unternehmen“, also die Gesellschaft selbst, ist nichts als ein Stück Papier beim Notar.

Daher müssen sich Unternehmensbußen an den Grundrechten der Aktionäre messen lassen. Nun schützt das Bundesverfassungsgericht den Vermögensaspekt der Aktie, und dies besonders, wo die Aktie „Freiheit sichert“, also z.B. der Altersvorsorge dient. Die Politik der EZB, im Interesse hoch verschuldeter EU-Staaten und ihrer Banken Zinsen abzusenken, führt die Wichtigkeit der Aktie für die Vorsorge hell vor Augen. Das Verfassungsgebot, dass staatliche Eingriffe geeignet sein müssen, die gesetzten Ziele zu erreichen, zieht daher auch Sanktionen gegenüber Unternehmen Grenzen, die die Aktionäre treffen. Ziel von Unternehmensbußen sind Prävention und Repression, also die Verhinderung weiterer Taten und die Vergeltung. Die Aktionäre haben jedoch zur Vergeltung typischerweise keinen Anlass gegeben. Sie haben auch keine Mittel, Rechtsverstößen vorzubeugen: Mit Hauptversammlungs-Reden lässt sich nicht für Compliance sorgen. Unternehmensbußgelder sind daher ungeeignet, ihre Ziele zu erreichen – auch, wenn sie drakonisch ausfallen.

Hinzu kommt: Aktionäre wirtschaftlich mit Sanktionen für Verstöße anderer zu überziehen, ist „Sippenhaft“. Das Grundgesetz verbietet Sippenhaft. Will man auf die Rechtsempfindung, „Strafe muss sein“, empfindsam antworten: Die Sanktionierung der Falschen ermöglicht es den wahren Übeltätern, sich ins Fäustchen zu lachen (Bankenboni!), verbittert die grundlos Betroffenen und untergräbt auf Dauer den Rechtsfrieden. Aber auch ohne Empfindsamkeit: Die Regeln zu Unternehmensbußgeldern, Manager-Regressverbot, Versicherungs- und Aktienrecht haben bei aller Liebe zum Detail diejenigen aus dem Blick verloren, die wirtschaftlich die Suppe auszulöffeln haben – die Aktionäre.

Fazit

Ja, unsere heutige Bußgeldpraxis verletzt die Verfassung, und zwar systemisch. Hier ist ein Schwenk erforderlich; die wissenschaftliche Fundierung hierfür ist gelegt. Auch die 9. GWB-Novelle muss auf die Rechte der Anteilseigner Bedacht nehmen.

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