Unternehmensinterne Ermittlungen: Erste Konkretisierungen der Umsetzung des Koalitionsvertrages sickern durch

Rechtsanwalt Dr. Alexander Reuter, Köln
Dr. Reuter ist Rechtsanwalt und Partner bei GÖRG. Zu seinen Schwerpunktgebieten gehören Gesellschaftsrecht, Compliance und die damit verbundenen Haftungs- und Regressfragen

Unternehmensinterne Ermittlungen: Erste Konkretisierungen der Umsetzung des Koalitionsvertrages sickern durch

1. Pläne der Großen Koalition / Koalitionsvertrag

Die Große Koalition plant bekanntlich, das Recht der Unternehmenssanktionen zu novellieren. Zu ihren Plänen gehört auch eine Regelung für unternehmensinterne Ermittlungen. Im Koalitionsvertrag vom März 2018 heißt es dazu: „Es sollen gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“ und zur anschließenden Offenlegung der dabei gewonnenen Erkenntnisse gesetzt werden. Die Durchsuchungsmöglichkeiten und Beschlagnahme im Zusammenhang mit „Internal Investigations“ sollen gesetzlich geregelt werden.“

Damit sind vielschichtige Fragen aufgeworfen, z.B.:

(i) Welche Verteidigungs-, Beratungs- und Auskunftsverweigerungsrechte stehen Mitarbeitern gegenüber dem Arbeitgeber bei derartigen Ermittlungen zu? Müssen sie sich selbst belasten?

(ii) Muss das Unternehmen die Erkenntnisse aus den Ermittlungen später den Verfolgungsbehörden herausgeben? Das hat das BVerfG mit seinen Beschlüssen vom 06.07.2018 im Fall Volkswagen grundsätzlich bejaht. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte ist freilich ganz uneinheitlich (Fn. 1).

(iii) Verstößt es nicht gegen das fundamentale Gebot, dass sich niemand selbst belasten muss (nemo tenetur se ipsum accusare), wenn die Verfolgungsbehörden den Zugang zu den Erkenntnissen aus den unternehmensinternen Ermittlungen erzwingen können? Ist das auch dann der Fall, wenn die Behörden den Zugang zwar nicht erzwingen können, die Herausgabe aber die Bußgelder mindert und damit ein faktischer Zwang zur Selbstbelastung geschaffen wird?

(iv) Können die Erkenntnisse aus den unternehmensinternen Ermittlungen, insbesondere die Aussagen von Mitarbeitern, bei der Strafverfolgung gegen die Mitarbeiter oder das Unternehmen verwertet werden?

(v) Verändern sich die Verhältnisse, wenn die Ermittlungen nicht hausintern, sondern im Auftrag des Unternehmens von Anwälten durchgeführt werden?

(vi) Dürfen Erkenntnisse der unternehmensinternen Ermittlungen, die den Behörden übergeben oder von ihnen beschlagnahmt wurden und Dritten (z.B. aufgrund Akteneinsicht oder Indiskretionen der Behörden) bekannt wurden, zivilrechtlich (insbesondere in Schadensersatzprozessen) gegen das Unternehmen verwandt werden?

Auf diese Fragen gibt es heute keine klaren Antworten, weil die deutschen Regeln des Arbeits- und Gesellschaftsrechts nicht auf interne Untersuchungen und deren strafprozessualen Belang zugeschnitten sind.

2. Gesetzgeberische Überlegungen: Umfassendes Gesetz

Wegen der Vielschichtigkeit des Themas und seiner strafprozessualen Aspekte hatte der Gesetzgeber im Herbst 2018 erwogen, die Thematik nicht zusammen mit der Neuordnung der Unternehmenssanktionen zu regeln. Dies war auf der Tagung referiert worden, die GÖRG, das Deutsche Aktieninstitut (DAI) und das Deutsche Institut für Compliance (DICO) im September 2018 in Berlin zu verfassungsrechtlichen Aspekten des Vorhabens der Großen Koalition veranstaltet haben. Nach einem Artikel des Handelsblatts vom 07.03.2019 verdichten sich jedoch die Anzeichen, dass doch alles zusammen geregelt werden soll. Sachlich liegt das nahe. Denn der Koalitionsvertrag legt, wie oben zitiert, in der Tat fest, dass „gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“ und zur anschließenden Offenlegung der dabei gewonnenen Erkenntnisse“ gewährt, d.h. interne Untersuchungen die Sanktionen mildern sollen. Dann liegt es nahe, dass der Gesetzgeber auch die Anforderungen regelt, die an unternehmensinterne Ermittlungen gestellt werden, aufgrund derer die Sanktion gemildert werden sollen, und dies wiederum hängt eng mit den Voraussetzungen zusammen, unter denen „das Unternehmen“ überhaupt die die Regelverstöße seiner Mitarbeiter einstehen soll (heute: § 30 OWiG).

Hinzu kommt, dass BMJV Barley nach den Wahlen zum Europa-Parlament, also im Mai 2019, nach Straßburg wechseln und das Gesetzesvorhaben bis dahin insgesamt auf den Weg gebracht haben wollen wird.

3. „Fairness“ als Voraussetzung der Sanktionsmilderung

Für die Regelung der unternehmensinternen Ermittlungen stellen sich auch die obigen Fragen. Nach dem Bericht des Handelsblatts soll das Gesetz insoweit offenbar vorsehen, dass sich interne Ermittlungen nur dann positiv für das beschuldigte Unternehmen auswirken, wenn sie „fair“ durchgeführt werden. Kriterien hierzu können sein, dass die befragten Mitarbeiter

(i) bei internen Befragungen über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden,

(ii) sich eines rechtlichen Beistands bedienen dürfen, dessen Kosten in der Regel das Unternehmen tragen soll, und

(iii) Gelegenheit erhalten, sich zu den sie belastenden Ergebnissen zu äußern und ggf. weitere Ermittlungen anzustoßen.

Unklarheit besteht aber nach wie vor bei den Fragen der Verwertbarkeit:

Nahe läge es, es dem Unternehmen zu überlassen, ob es die ermittelten Erkenntnisse vorlegt oder nicht. Wie auch nach heutigem Recht bestünde dann die Möglichkeit, bei der Festsetzung von Unternehmensgeldbußen die (freiwillige) Offenlegung zu honorieren. Jedoch hat das BVerfG die Beschlagnahme, wie oben erwähnt, im Fall Volkswagen erlaubt (Fn.1). Daher erwarten manche, der Gesetzgeber werde einfach die Überlegungen des BVerfG zum Gesetz machen. Sanktionsmildernd kann die Herausgabe der Erkenntnisse freilich dann nicht mehr sein, wenn das Unternehmen ohnehin mit Beschlagnahme rechnen muss. Dann kommen hinsichtlich der unternehmensinternen Ermittlungen als Gründe für die Sanktionsmilderung nur noch in Betracht, dass und wie die Ermittlungen durchgeführt wurden.
Diskutiert wird vor diesem Hintergrund, nur Teile der Erkenntnisse der unternehmensinternen Ermittlungen zu schützen, z.B. Interviewprotokolle, nicht aber sonstige Dokumente. Dies erscheint freilich sehr kompliziert.

4. Interessengegensätze im Unternehmen und Interesse des Fiskus

Hinzu kommt, dass innerhalb „des Unternehmens“ fundamentale Interessengegensätze bestehen können. Denn alle Beteiligten sind daran interessiert, dass nicht sie selbst, sondern, wenn überhaupt, dann andere zur Rechenschaft gezogen werden.

(i) alle Beteiligten im Unternehmen werden es vorziehen, sich zu entlasten und die Verantwortung anderer in den Vordergrund zu stellen;

(ii) Mitarbeiter und Organmitglieder mögen die Ermittlungen dazu nutzen, unliebsame andere Beteiligte anzuschwärzen;

(iii) gemeinsam ziehen Mitarbeiter, Vorgesetzte, Mitglieder der Geschäftsleitungsorgane und Mitglieder der Aufsichtsorgane es vor, wenn nicht sie, sondern „das Unternehmen“ sanktioniert wird; denn Unternehmenssanktionen berühren das eigene berufliche Fortkommen und die eigenen finanzielle Interessen kaum; dies befördert Theorien, die die Verantwortung des Einzelnen entschuldigend minimalisieren und die Gesamtverantwortung auf das Unternehmen als abstraktes Kollektiv verlagern („Kollektivschuld“);

(iv) Mitarbeiter oder Organmitglieder, die am Regelverstoß konkret waren und eigene Verfolgung und Verantwortung befürchten, mögen die Tat verdunkeln wollen.

Dieser bunte Strauß zeigt, wie heterogen die Interessen derjenigen sind, die über Ob und Wie der Ermittlungen sowie die Herausgabe der Erkenntnisse an die Ermittlungsbehörden entscheiden. Die einzigen, die typischerweise weder mitentscheiden noch Verantwortung für das Fehlverhalten tragen, sind die Anteilseigner. Sie sind es aber, die wirtschaftlich die Last von Sanktionen zu tragen haben, die dem Unternehmen auferlegt werden.

Dies trifft sich mit fiskalischen Interessen: Offenbar werden Bußgeldbehörden der Länder von den dortigen Finanzministerien ermuntert, Bußgelder gegenüber Unternehmen festzusetzen, weil diese höher als solche gegen natürliche Personen sind (Fn. 2).

Dass sich aus alledem sehr grundsätzliche Einwendungen gegen Unternehmenssanktionen ergeben, habe ich an anderer Stelle dargelegt (Fn. 3).

5. Konsequenzen dieser Interessengegensätze auf interne Ermittlungen oder Selbstanzeige als Sanktionsbefreiungsgrund?

Was folgt aus diesen Interessengegensätzen? Zunächst einmal sprechen die Rechte der Anteilseigner dafür, von Unternehmenssanktionen insgesamt abzulassen: Sie treffen die Anteilseigner und damit die Falschen und verletzen deren Grundrechte (Fn. 4). Aber auch wenn man an Unternehmenssanktionen festhält, so ergeben sich aus den dargelegten Interessengegensätzen und der Rechtsposition der Anteilseigner auch Konsequenzen für die Regelung interner Ermittlungen:

a) Vorschlag von VCI und BCM

In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal ist den gemeinsamen Vorschlägen des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und des Bundes der Compliance Manager (BCM) vom September 2018 (Fn. 5) beizupflichten,

(i) dem Unternehmen eine echte Wahlmöglichkeit einzuräumen, ob es mit den Ermittlungsbehörden kooperieren will oder nicht. Interne Compliance-Kontrollen und Aufklärungsmaßnahmen sind wesentliche Unternehmensinstrumente, um Wirtschaftsstraftaten wirksam zu verhindern. Wenn jedoch die Untersuchungsergebnisse nicht vor dem Zugriff der Behörden und sonstiger Dritter geschützt sind, wird den internen Aufklärungsbemühungen jeder Anreiz genommen;

(ii) in Anlehnung an das Steuerrecht Selbstanzeigen als Dokumentation des Willens des Unternehmens zur Rechtstreue mit der Folge der Sanktionsfreiheit zu ermöglichen. Angestrebt wird eine „goldene Brücke“ in die Sanktionsfreiheit für das gesamte Unternehmenssanktionsrecht; und

(iii) die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden strafmildernd zu berücksichtigen. Weitere Strafzumessungskriterien sollten in einem gesetzlichen Katalog festgehalten werden, um es für alle Beteiligten vorhersehbarer zu machen, ob und wie sich zum Beispiel das Vor- und Nach-Tatverhalten (Compliance-Bemühungen), die Schadenswiedergutmachung, die Wirtschaftskraft des Unternehmens usw. auf die Strafzumessung auswirken können.

Eine ganze Reihe weiterer öffentlicher Vorschläge geht in die gleiche Richtung (Fn. 6).

b) Umgang mit den skizzierten Interessenkollisionen

Dem wird man sich anschließen können, sollte aber mit Rücksicht auf die skizzierten Interessenkollisionen und die Position der Anteilseigner folgendes ergänzen:

(1) die Entscheidungen des Unternehmens, (a) ob und wie unternehmensinterne Ermittlungen durchgeführt werden, und (b) ob und wie mit den Ermittlungsbehörden kooperiert wird, sollte nicht allein auf Ebene der Geschäftsleitung, sondern (auch) auf Ebene des Aufsichtsrates (bzw. Beirates oder der Gsellschafterversammlung; im Folgenden kurz „Aufsichtsorgan“) getroffen und dokumentiert werden; das Aufsichtsorgan steht typischerweise einerseits den Anteilseignern näher und andererseits dem betreffenden Fehlverhalten ferner als das Geschäftsleitungsorgan;

(2) die Selbstanzeige sollte (auch) dem Aufsichtsorgan ermöglicht werden;

(3) Fehlverhalten von Mitarbeitern oder Organen des Unternehmens rechtfertigt Unternehmenssanktionen, also die wirtschaftliche Sanktionierung der Anteilseigner, erst dann, wenn das Fehlverhalten diesen zugerechnet werden kann; dies wiederum setzt voraus, dass z.B. das Aufsichtsorgan in das Fehlverhalten, z.B. seine Verdunkelung involviert war; daher ist zwar dem Vorschlag zuzustimmen, dass die Kooperation mit den Ermittlungsbehörden strafmildernd zu berücksichtigen ist; der „Einstieg“ in Unternehmenssanktionen sollte aber von vornherein erst möglich sein, wenn das Aufsichtsorgan als Vertreter der Anteilseigner Entscheidungen getroffen hat (z.B. über Unterlassung oder Ausgestaltung von unternehmensinternen Ermittlungen oder einer Selbstanzeige), die mit dem Fehlverhalten zusammenhängen, es vertiefen und den Anteilseignern zugerechnet werden können;

(4) die vorgenannten Entscheidungen des Aufsichtsorgans lassen sich auch in Publikums-Aktiengesellschaften in der Hauptversammlung abfragen und damit die Möglichkeit zum Dialog mit denjenigen geschaffen, die von den Unternehmenssanktionen getroffen werden.

Fußnoten

(1) Instruktiver Überblick bei Moosmayer/Petrasch, ZHR 182 (2018) 504, 508 ff.

(2) Das Land NRW hat seinen Vorschlag von 2012, ein Unternehmensstrafrecht einzuführen, in der Zeit entwickelt, in der sein Haushalt zum dritten Mal wegen Verstoß gegen die Schuldenbegrenzung der Landesverfassung Gegenstand eines Verfahrens vor dem VerfGH NRW war; der VerfGH erklärte den Haushalt wegen überhöhter Kreditaufnahme für verfassungswidrig (Einerseits: Bericht der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 30. August 2012 zur Initiative zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts unter II 1; vgl. dazu http://www.jm.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbstkonferenz13/zw3/TOP_II_5.pdf vom 14. November 2013, und http://www.jm.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbstkonferenz13/zw3/TOP_II_5_Gesetzentwurf.pdf, 3. September 2013; andererseits: VerfGH NRW, Urt. v. 12.03.2013, Az. VerfGH 7/11).

(3) Reuter, Unternehmensgeldbußen, Organregress, Grenzen der Versicherbarkeit und Gesellschaftsrecht: Eine systemische Verletzung der Grundrechte der Anteilseigner?, BB 2016, 1283 ff.; Reuter, Unternehmensbußen – Ein verfassungsrechtlicher Holzweg, ZIP 2018, 2298 ff.

(4) Ebda.

(5) https://www.vci.de/themen/recht-steuern/unternehmens-compliance/vci-bcm-position-fuer-moderneres-unternehmenssanktionsrecht.jsp

(6) Z.B. Gesetzesvorschlag des Bundesverbandes der Unternehmensjuristen (BUJ) von April 2014 oder Moosmayer/Petratsch, ZHR 182 (2018) 504, 531; Henssler/Hoven/Kuniciel/Weigend, Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes, NZWiSt 2018, 1, 2 (§4 Abs. 3 Buchst. c), e) und f) des Gesetzentwurfs).

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