Die EU-Lieferkettenrichtlinie als integrierter ESG-Baustein: Unverhältnismäßige Wirkungen

    1. Einleitung: Lieferkettenrichtlinie, ESG-Regulierungen der EU und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Über den Entwurf der EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive[1] oder CSDDD-E) ist nach Abstimmung im „Trilog“ der Arbeitsebenen von Rat, Kommission und Parlament auf politischer Ebene wieder eine Debatte entbrannt.[2] Auch aus juristischer Sicht zu recht: Denn der CSDDD-E verletzt das Gebot der Verhältnismäßigkeit, das nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auch im EU-Recht gilt[3] und den entgegengesetzten Konsens bricht, der im Trilog der Arbeitsebenen erzielt wurde. Denn die CSDDD würde nach ihrem Entwurf erheblich in Grundrechtspositionen der Unternehmen eingreifen, namentlich in die unternehmerische Freiheit, die Berufsfreiheit, das Recht auf Arbeit und das Eigentumsgrundrecht (Art. 15 ff. EU Grundrechtecharta; „GRCh“). Diese Rechte und Freiheiten der Unternehmen sind zwar naturgemäß nicht absolut, sondern können eingeschränkt werden. Gemäß Art. 52 Abs. 1 GRCh müssen solche Einschränkungen aber "gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen." Um dies zu beurteilen, müssen die Wirkungen eines Eingriffs (hier der CSDDD) berücksichtigt werden. Hierbei kommt es nicht nur auf die die Vorschriften des betreffenden Gesetzesaktes an, sondern auch auf die Wirkungen, die die betreffenden Vorgaben im Verein mit anderen EU-Regeln entfalten. Andernfalls könnte der EU-Gesetzgeber das Verhältnismäßigkeitsgebot unterlaufen, indem er Eingriffsvorgaben listig auf unterschiedliche Kodifikationen verteilt. Um nun die Wirkungen der CSDDD-E auszumessen, ist insbesondere zweierlei in den Blick zu nehmen: Dies ist zum einen die integrierte Wirkung, die die CSDDD mit anderen ESG-Regulierungen entfalten würde, namentlich mit der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung der Unternehmen[4] (Corporate Sustainability Reporting Directive; „CSRD“). Zum anderen ist dies die Rechtsprechung des EuGH, die die Haftung von Unternehmen bei Verstößen gegen EU-Vorgaben begünstigt und laufend ausbaut[5]. Diese wechselseitigen und integrierten Wirkungen einer CSDDD sind umso mehr in den Blick zu nehmen, als die CSRD vorauseilend selbst auf die CSDDD verweist[6] und den Ausbau der Verantwortung von Unternehmen und ihren Organen zu ihren ausdrücklichen Zielen zählt.[7]

Bedenkt man die integrierten Wirkungen der multiplen ESG-Regulierungen der EU, so erweist sich in der Tat die Unverhältnismäßigkeit des CSDDD-E. Das gilt umso mehr, als die Kommission deren Wirkungen bei den vom CSDDD-E ausgenommenen kleinen und mittleren Unternehme für unverhältnismäßig hält, aber außer acht läßt, dass nach den eigenen Sachverhaltsrecherchen der EU die Kosten und Belastungen bei größeren Unternehmen proportional wachsen, das eigene Unverhältnismäßigkeitsverdikt der Kommission also auch für diese gilt.[8]

Der Verfasser hat dies bereits an anderer Stelle im Einzelnen ausgeführt.[9] Der vorliegende Beitrag soll in der gegenwärtigen rechtspolitischen Debatte nochmals auf diese rechtlichen Ankerpunkte hinweisen.

    1. Multiple, integrierte Wirkungen einer CSDDD nach dem Trilog-Entwurf
      1. Belastende, multiple Eingriffe

Die geplante CSDDD ist gleichsam das Lieferkettengesetz (LkSG) der EU. Der Entwurf geht aber über das deutsche LkSG in mehrfacher Hinsicht hinaus: Er

  • erfasst deutlich mehr Unternehmen,
  • erstreckt sich auf die nachgelagerten Wertschöpfungsstufen (Vertrieb, Service, Weiterverarbeitung, Entsorgung),
  • bezieht mehr internationale Abkommen in den Bereichen Umweltschutz und Menschrechte ein,
  • sieht eine ausdrückliche Haftung der Unternehmen und ihrer Organe vor und
  • verlangt last but not least in diesem Zusammenhang neben „angemessenen, wirksamen und abschreckenden“ Sanktionen bei Verstößen auch die Veröffentlichung verhängter Sanktionen (Ächtung).[10]

Nun ist die geplante CSDDD ein Baustein des „Green Deal“ der EU, der unter den Überschriften „Corporate Social Responsibility“ (CSR) und „Environment/Social/Governance“ (ESG) neben der CSRD und dem CSDDD-E zahlreiche Regelwerke umfasst.[11] Dabei haben die ESG-Vorgaben ganz unterschiedliche Ansatzpunkte: (1) Die CSRD verpflichtet die erfassten Unternehmen zu retrospektiver und prospektiver Berichterstattung über ESG-Aspekte („Nachhaltigkeitsaspekte“) in einem neuen Teil des Lageberichts, dem Nachhaltigkeitsbericht. (2) Der Entwurf der CSDDD ist, wie erwähnt, ein EU-Lieferkettengesetz, geht aber über die Vorgaben des deutschen Gesetzes Vorgaben deutlich hinaus und sieht ausdrücklich Haftung von Unternehmen und Organen bei Verstößen vor. Dabei vertraut der CSDDD-E nicht darauf, dass die Unternehmen angemessene Mittel und Wege finden, die betreffenden Vorgaben einzuhalten, sondern macht organisatorische Vorgaben (Organisationspflicht). (3) Die CSRD verlangt wiederum von den Unternehmen, darüber zu berichten, wie sie sich zur Einhaltung der ESG-Vorgaben (auch der künftigen CSDDD) organisiert haben (Organisationsberichterstattung). (4) Die CSRD verpflichtet die Unternehmen ferner, über ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen und deren (Miß-) Erfolg zu berichten. (5) Nach der CSRD müssen Unternehmen auch über Organisation, Zuständigkeiten und Expertise ihrer Leitungs- und Aufsichtsorgane berichten. (6) Verstöße führen bei Verstößen zu hohen Bußgeldern, bei der geplanten CSDDD, wie erwähnt, auch zu deren Veröffentlichung (Ächtung). (7) Last but not least sehen CSRD und CSDDD-E unternehmensinterne Pflichten vor, die nicht nur über § 43 GmbHG, §§ 93, 116 AktG Ansprüche der Unternehmen gegen Geschäftsleitungs- und Aufsichtsorgane nach sich ziehen können. Vielmehr soll die Nachhaltigkeitsberichterstattung „Interessenträgern“ aller Art (NGOs, Betroffene, Gewerkschaften etc.) dabei helfen, bei unterschiedlichsten Verstößen vor Gericht gegen die Unternehmen vorzugehen. Die beschriebenen Zugriffsweisen sind mithin vielfältig, aufeinander abgestimmt und verstärken einander.

      1. Haftung als ESG-Ziel

Die CSRD erstrebt den „Übergang zu einem vollständig inklusiven Wirtschafts- und Finanzsystem im Einklang mit dem Green Deal und den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung“.[12] Es soll “Interessenträgern“ ermöglicht werden, das Unternehmen nicht nur hinsichtlich seiner Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, sondern auch hinsichtlich seiner „Nachhaltigkeit“ zu bewerten. „Interessenträger“ sind dabei nach Erwägungsgrund (9) nicht nur Kapitalgeber, sondern alle „Bürgerinnen und Bürger“, namentlich „Akteure der Zivilgesellschaft, einschließlich Nichtregierungsorganisationen und Sozialpartner, die Unternehmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt stärker in die Verantwortung nehmen wollen.“ Die CSRD soll es mithin Dritten ermöglichen, Unternehmen „stärker in die Verantwortung zu nehmen“. Zu den "Nachhaltigkeitsaspekten" zählt Art. 2 Nr. 17 CSRD aber nicht nur Umwelt und Klimaschutz sowie Menschenrechte, sondern auch „Sozial-“ und „Governance-Faktoren“, einschließlich der Pflichten der CSDDD (Art. 19 a Abs. 2 CSRD). Das geht weit. Mißtrauisch verlangt der Richtlinien-Geber zudem Angaben dazu, wie die Unternehmen die Informationen erhoben haben, und wer für Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Hier kommt die Governance ins Spiel. Denn nach Art. 19a Abs. 2 CSRD soll u.a. detaillierte Angaben zu Rolle und Kompetenzen der Organe gemacht werden.

Insbesondere der letzte Tatbestand kann zur Selbstbezichtigung verpflichten[13], weil er Dritten die Geltendmachung von Ansprüchen Dritter erleichtert (und erleichtern soll).

      1. Multiple Haftungskonsequenzen für die Unternehmen

Die dargestellten Rechtsakte bringen vielfältige Haftungsrisiken für die Unternehmen mit sich, die sich ergänzen und verstärken: (1) Die Regeln sehen bei Verstößen hohe Bußgelder für die Unternehmen vor. (2) Ferner sieht der CSDDD-E zivilrechtliche Haftung für die Unternehmen vor (Schadensersatz und Beseitigung) gehaftet wird. (3) Auch wo keine direkten Schadensersatzpflichten vorgesehen sind, droht Unternehmenshaftung: Denn zum Ersten neigt der EuGH dazu, zivilrechtliche Haftung auch dort zu bejahen, wo EU-Vorgaben keine zivilrechtliche Haftung vorsehen (arg. effet utile), und zum Zweiten dazu, ESG-Regeln der EU drittschützende Wirkung zu verleihen. All‘ dies bettet sich in eine klagefreudiges Umfeld ein. Auch Anteilseigner-Organisationen nehmen zunehmend für sich in Anspruch, auf Nachhaltigkeitskriterien zu achten und in den Unternehmen zu pochen. Der hohe moralische Anspruch von ESG-Vorgaben verleiht entsprechenden Klagen zusätzlichen Schub.[14]

      1. „Doppelstöckigkeit“ der Haftung

Die zahlreichen Pflichten und Haftungsfolgen ergänzen und verstärken einander, und zwar jeweils in „doppelstöckiger“ Weise: Auf der „Sachebene“ können ESG-Verstöße Bußgelder, sonstige Sanktionen und zivilrechtliche Haftung nach sich ziehen. Hinzu kommt die „Berichtsebene“: War ein Verstoß von Anfang an oder nach seiner Entdeckung zu veröffentlichen (ad hoc oder im nächsten Regelbericht, z.B. auch im Zusammenhang mit den Angaben zum „Erfolg“ der Nachhaltigkeitsanstrengungen des Unternehmens), hat das Unternehmen hiervon aber angesehen, kann hierin ein weiterer Verstoß liegen. Auch auf dieser zweiten Ebene drohen Bußgelder, Sanktionen und zivilrechtliche Haftungskonsequenzen. Da die Vorgaben der CSRD detailliert sind, ist die Berichterstattung fehleranfällig.

      1. Organhaftung

Die Mehrdimensionalität der Haftungsvermehrung gilt aber auch für die Organhaftung: (1) Ein Teil der ESG-Regeln nimmt die Unternehmensorgane direkt in die Pflicht (Aussenhaftung). (2) Wo immer ein Unternehmen haftet, besteht das Risiko, dass es die verantwortlichen Organe in Regress nimmt (Innenhaftung). Ob dies für Bußgelder gilt, ist noch nicht geklärt. Das Regressrisiko besteht jedoch für alle zivilrechtlichen Haftungstatbestände. (3) Die ESG-Vorgaben zur Aufbau- und Ablauforganisation weisen Verantwortungsbereiche zu und erleichtern so in Außen- und Innenhaftung die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Organmitglieder. (4) Dies gilt nicht nur für Geschäftsleitungen, sondern auch für die Aufsichtsorgane.[15]

    1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Angesichts dieser Belastungen kommt der Verhätnismäßigkeitsgrundsatz ins Spiel: Dem EuGH zufolge ist eine Einschränkung einer individuellen Position nur dann rechtmäßig, wenn sie (1) "zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich" und (2) "angemessen" ist.[16]

Ferner müssen bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit die widerstreitenden Interessen gegeneinander abgewogen werden: Unter Berücksichtigung "sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls ist zu prüfen, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt worden ist"[17]. Je wichtiger das verfolgte Gemeinwohlziel ist, desto strenger dürfen die Beschränkungen ausfallen.[18] Umgekehrt erfordern erhebliche Nachteile für den Grundrechtsträger die Verfolgung hinreichend wichtiger Ziele des öffentlichen Interesses.[19]

    1. Schlußfolgerungen

Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich folgende Schranken der ESG-Pflichten und –Haftung.[20]

(1) Die Begründungen der beiden zentralen Rechtsakte, CSRD und CSDDD-E, sprechen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwar an, lassen aber eine inhaltliche Auseinandersetzung vermissen. Haben sich die Gesetzgebungsorgane mit der Frage der Verhältnismäßigkeit sachlich nicht befasst, sie also weder geprüft, noch ihre Entscheidung auf objektive Kriterien gestützt, so fehlt es von vornherein an der Verhältnismäßigkeit.[21]

(2) Die Eingriffe des CSDDD-E in die Unternehmensorganisation wiegen schwer und sind mir erheblichen Kosten verbunden; die Haftung bei Verstößen kommt hinzu. Daher hält die Begründung des CSDDD-E die dort vorgesehenen Vorgaben für KMU für unverhältnismäßig, und Art. 2 Abs. 1 des Entwurfs nimmt sie daher vom Anwendungsbereich (außerhalb von Risikosektoren) aus. Bei größeren Unternehmern wachsen aber auch die Organisationskosten und die Haftung, nach den eigenen Recherchen der Kommission wohl auch proportional. Demgemäß erfasst das Verdikt der Unverhältnismäßigkeit, das die Begründung des CSDDD-E über Regelungen für KMU verhängt, auch die Regelungen für große und für Risikobranchenunternehmen.[22]

(3) Art. 7 Abs. 4, Art. 8 Abs.3 Buchst. e, Abs. 5 CSDDD-E verschärft dieses Eigenverdikt: Danach haben die erfassten Unternehmen zur Vermeidung potenzieller negativer Auswirkungen von Verstößen in der Lieferkette „gezielte und verhältnismäßige Unterstützung für ein KMU [in der Lieferkette] zu leisten, … sofern die Einhaltung des Verhaltenskodexes oder des Präventionsaktionsplans die Tragfähigkeit des KMU gefährden würde“. Hiernach müssen die erfassten Unternehmen gegebenenfalls die Kosten der KMU in der Lieferkette übernehmen, und dies vielfach in Fällen, in denen die dortige Belastung hoch ist. Dies steigert die Kosten für die erfassten Unternehmen überproportional im Vergleich zu KMU.[23]

(4) Umweltbelangen wird bereits von einer Fülle von Gesetzen inhaltlich und verfahrensmäßig Rechnung getragen wird. Die betreffenden Gesetze sind ihrerseits in demokratischen Prozessen abgewogen und erlassen worden. Diese Fachgesetze dürfen nicht durch überschießende Sorgfaltspflichten, Verfahrensvorgaben und Klagemöglichkeiten überholt werden. Es wäre aber unverhältnismäßig (und ein Verstoß gegen den Vertrauensgrundsatz des EU-Rechts), wenn sich ein Unternehmen beispielsweise nicht darauf verlassen könnte, seinen Betrieb entsprechend einer erteilten Genehmigung führen zu können.[24]

(5) Wo ESG-Vorschriften die „Governance“ (allgemeine Regeltreue) verbessern sollen, ist nicht gegen die hohen Ziele „Umwelt“ und „Menschenrechte“ abzuwägen, sondern gegen die jeweils betroffenen Schutzgegenstände. Die in Art. 29b Abs. 2 Buchst. iii, iv und v CSRD geregelten Gegenstände gehen hierüber ohne Begründung hinaus, zumal „Unternehmensethik“ und „Unternehmenskultur“ (Buchst. iii) moralphilosophische Begriffe ohne rechtliche Kontur sind, es sich bei „Lobbytätigkeiten“ eines Unternehmens (Buchst. iv) um grundrechtlich geschützte Tätigkeiten des Unternehmens im demokratischen Meinungsbildungsprozess handelt und die „Pflege und Qualität der Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und von den Tätigkeiten des Unternehmens betroffenen Gemeinschaften“ (Buchst. v) Angelegenheiten des normalen Geschäftsgangs des Unternehmens betreffen, für deren Überformung durch weitere Sorgfalts- und Berichtspflichten kein Bedarf ersichtlich ist. Solche Überformung ist auch bei anderen Gegenstände außerhalb der Bereich „Umwelt“ und „Menschenrechte“ unverhältnismäßig, jedenfalls begründungsbedürftig. Weite Bereiche von ESRS G1 und ESRS 2 sind daher unverhältnismäßig.[25]

(6) In den EFRS sind Ausnahmen von Berichtspflichten vorzusehen, wo die Berichterstattung dem Unternehmen oder seinen Beschäftigten schaden, insbesondere Bußgeldverfahren oder Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann. Das gebietet das Selbstbezichtigungsverbot. Wo es weder um Verletzung von Menschrechten, noch um Klimaschutz geht, gilt dies erst recht.[26]

(7) Da Compliance Management Systeme (CMS) empirisch vielfach verpuffen, es mithin unmöglich ist, die Wirkung konkreter CMS-Maßnahnahmen vorherzusagen oder zuverlässig zu messen, ist den Unternehmen bei Erfüllung der ihnen auferlegten Sorgfaltspflichten weites unternehmerisches Ermessen zuzubilligen. Dabei ist der Vertrauensgrundsatz von zentraler Bedeutung, gerade in Unternehmen, die sich durch hohe Arbeitsteiligkeit kennzeichnen. Der Vertrauensgrundsatz besagt, dass die Geschäftsleitung sich auf das richtige Verhalten der Beschäftigten verlassen kann, es sei denn, es gibt Hinweise, dass dieses Vertrauen nicht gerechtfertigt ist.

[1] Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM/2022/71 final, Dokument 52022PC0071, Ziff. 1 der Begründung.

[2] Z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.02.2024, S. 19; Beschluss des Präsidiums der FDP vom 15.01.2024, https://www.fdp.de/sites/default/files/2024-01/2024_01_15_praesidium_eu-lieferkettenrichtlinie-stoppen-buerokratie-burnout-verhindern_1.pdf; abgerufen am 10.02.2024.

[3] Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht nur in Art. 52 Abs. 1 GRCh verankert, sondern auch in den vom EuGH bereits vor Verabschiedung der GRCh statuierten und in Art. 6 Abs. 3 EUV als Teil des Primärrechts der EU anerkannten Rechtsprechungsgrundsätzen zum Grundrechtsschutz. Mayer in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 73. EL Mai 2021, nach Art. 6 EUV, Grundrechtsschutz und rechtsstaatliche Grundsätze, Rn. 395. Ausführlicher Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungsvermehrung ZIP 2023, 1782, 1787.

[4] Richtlinie 2013/34/EU vom 26.06.2013 in der Fassung der Richtlinie (EU) 2022/2464 vom 14.12.2022 („Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung“ oder „Corporate Sustainability Reporting Directive [CSRD]“)

[5] Nachw. bei Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungsvermehrung ZIP 2023, 1782, 1786.

[6] Art. 19a Abs. 2 CSRD; vgl. Reuter, Pflichtenvermehrung durch ESG - Die neuen Vorgaben der EU als multiple, verbundene und haftungsträchtige Eingriffe, ZIP 2023, 1572, 1575.

[7] Reuter, Pflichtenvermehrung durch ESG - Die neuen Vorgaben der EU als multiple, verbundene und haftungsträchtige Eingriffe, ZIP 2023, 1572, 1573, 1582 f.; ders., ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungsvermehrung ZIP 2023, 1782, 1784.

[8] Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungs-vermehrung ZIP 2023, 1782, 1788 f.

[9] Vgl. Fn. 7

[10] Näher Reuter, Pflichtenvermehrung durch ESG – Die neuen Vorgaben der EU als multiple, verbundene und haftungsträchtige Eingriffe, ZIP 2023, 1572 ff.

[11] Näher Reuter, Pflichtenvermehrung durch ESG - Die neuen Vorgaben der EU als multiple, verbundene und haftungsträchtige Eingriffe, ZIP 2023, 1572-1583; ders., ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungsvermehrung ZIP 2023, 1782-1793; guter Überblick bei Kuntz, ESG and the Weakening Business Judgment Rule, in: Thilo Kuntz (Hrsg.), Research Handbook on Environmental, Social, and Corporate Governance, Edward Elgar, 2023, unter II, open access: https://ssrn.com/abstract=4395003, S. 7 ff.; vgl. auch Paefgen, Corporate Social Responsibility (CSR) als aktienrechtliche Legalitätspflicht und Geschäftsleitungsermessen, Festschrift K. Schmidt, 2019, Bd. 1, S. 105 ff.

[12] CSRD-Vorschlag, Begründung, COM(2021) 189 S. 4; sehr kritisch AKBR (Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft), Stellungnahme zum CSRD-Vorschlag der EU-Kommission DB 2021, 2301, 2303, sowie Ekkenga, ZHR 187 (2023), 228, 242 ff., 246.

[13] Ebenso Ekkenga, ZHR 187 (2023), 228, 245. Zur Geltung des Selbstbezichtigungsverbotes (nemo tenetur – Grundsatz) für Unternehmen ausführlich C. Dannecker, ZStW 2015, 370, 375 ff., DOI 10.1515/zstw-2015-0014.

[14] Näher Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungsver-mehrung ZIP 2023, 1782, 1784 ff.

[15] Näher Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungsvermehrung ZIP 2023, 1782 ff.

[16] EuGH, 13.11.1990, Rs. C-331/88 – „Fedesa“, Rn. 13, für "das Verbot einer wirtschaftlichen Tätigkeit"; der Grundsatz ist jedoch allgemein anwendbar, siehe Mayer in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 73. EL Mai 2021, nach Art. 6 EUV, Grundrechtsschutz und rechtsstaatliche Grundsätze, Rn. 404.

[17] EuGH, 12.06.2003, Rs. C-112/00 – „Schmidberger“, Rn. 81; siehe auch EuGH, 13.11.1990, Rs. C-331/88 – „Fedesa“, Rn. 17; Wollenschläger in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, GRCh, Art. 15, Rn. 39; EuGH, 17.07.1997, C-183/95 – „Affish/Rijksdienst voor de keuring van Vee en Vlees“, Rn. 42/43; EuGH, 13.11.2000, Rs. C-317/00 P(R) – „Invest“, Rn. 60; Blanke in: Stern/Sachs, Europäische Grundrechtecharta, 2016, Art. 15, Rn. 44.

[18] EuGH, 13.11.2000, Rs. C-317/00 P(R) – „Invest“, Rn. 60; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 16, Rn. 26.

[19] Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 17, Rn. 37; Wollenschläger in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, GRCh, Art. 15, Rn. 39.

[20] Näher Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haf-tungsvermehrung ZIP 2023, 1782, 1791 ff.

[21] Vgl. EuGH, 17.10.2013, C-101/12 – Schaible, Rn. 49.

[22] Näher Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haf-tungsvermehrung, ZIP 2023, 1782, 1791, 1789.

[23] Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haftungsvermehrung, ZIP 2023, 1782, 1791, 178 f.

[24] Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haf-tungsvermehrung, ZIP 2023, 1782, 1791.

[25] Reuter, ESG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke der multiplen Pflichten- und Haf-tungsvermehrung, ZIP 2023, 1782, 1792.

[26] Reuter, Pflichtenvermehrung durch ESG – Die neuen Vorgaben der EU als multiple, verbundene und haf-tungsträchtige Eingriffe, ZIP 2023, 1572, 1575.

  • xing
  • linkedin
  • twitter
Kategorien

, , ,