- Im juristischen Llano Estacado[1] von D&O-Haftung, Bußgeldregress und D&O-Versicherung
Die Frage, ob Unternehmen für ihnen auferlegte Bußgelder die verantwortlichen Organmitglieder nach § 43 GmbHG, § 93 AktG in Regress nehmen können, ist umstritten, wird von den Gerichten nicht einheitlich entschieden,[2] war Thema unseres Blog-Beitrags vom 14.08.2023[3], liegt mittlerweile dem BGH vor[4] und beschäftigt im Feld der Cyber-Security derzeit auch den Gesetzgeber[5]. Zudem ziehen Haftungsfragen regelmäßig Fragen bei der Versicherungsdeckung nach sich. Das gilt auch beim Bußgeldregress: Haftung und Deckung sind miteinander verschränkt. Nun sind beim Bußgeldregress auch manche Deckungsfragen ihrerseits ungeklärt. Sie sind für die Beteiligten aber von großer Bedeutung. Einiger dieser deckungsrechtlichen Fragen nimmt sich ein jüngeres Urteil des LG Frankfurt an.[6] Im Einzelnen judiziert das Landgericht (1) zu den prozessualen Voraussetzungen einer Feststellungsklage des versicherten Managers gegen den D&O-Versicherer, (2) zur Zulässigkeit von D&O-Versicherungen gegen Bußgeldregresse und (3) zu den Voraussetzungen, unter denen Versicherungsdeckung wegen „wissentlichen“ Pflichtverletzungen nach den D&O-Versicherungsbedingungen typischerweise ausgeschlossen ist. Neben diesen Wegweisern schaltet sich, wie erwähnt, auch der Gesetzgeber im Rahmen der geplanten Umsetzung der NIS-2-Richtlinie der EU in die Diskussion zum Bußgeldregress ein. Die Leitpfosten, die sich aus alledem ergeben, sind für die D&O – Praxis wichtig und sollen nachfolgend skizziert und kommentiert werden.
- Der paradigmatische Sachverhalt im Fall vor dem LG Frankfurt
Ein Unternehmen beteiligte sich an Informationsaustauschen mit Wettbewerbern, die das BKartA als vorsätzliche Kartellordnungswidrigkeit mit Bußgeldern gegen den Manager (Mitglied des Vorstands einer AG) und gegen das Unternehmen ahndete. Das Unternehmen nahm darauf den Manager gerichtlich vor dem LG Düsseldorf in Regress (Haftungsprozess). Das LG Düsseldorf gab dem Regress teilweise statt, das OLG verneinte ihn.[7] Während das Verfahren vor dem OLG noch anhängig war, verlangte das Vorstandsmitglied vom D&O-Versicherer Deckungszusage, und zwar einerseits unter der D&O-Versicherung, die das Unternehmen abgeschlossen hatte, und andererseits unter der Versicherung gegen den Selbstbehalt, die das Vorstandsmitglied zusätzlich selbst beim gleichen Versicherer abgeschlossen hatte.
Nach den Versicherungsbedingungen erstreckte sich der Versicherungsschutz zwar „nicht auf Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen“ des versicherten Managers. Versicherungsschutz war aber ausdrücklich vorgesehen für „Entschädigungen mit Strafcharakter und für Regressansprüche der versicherten Unternehmen gegen versicherte Personen wegen gegen versicherte Unternehmen verhängter Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen, wenn und soweit deren Einbeziehung in den Versicherungsschutz kein gesetzliches Verbot entgegensteht“.
Der Versicherer lehnte Deckung zum einen ab, weil das Vorstandsmitglied seine Pflichten wissentlich verletzt habe. Dass er sich des Bestehens der Pflicht und deren Verletzung bewusst gewesen sei, lasse sich aus einer Reihe von Indizien ableiten, insbesondere der Ausbildung und Erfahrung des Vorstandsmitglieds und der Dauer des Kartellverstoßes. Zum anderen sei ein Bußgeldregress sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten „nicht versicherbar“. Das Vorstandsmitglied hielt dagegen, er habe etwaige Pflichten nicht wissentlich verletzt. Alle Teilnehmer an den Informationsaustauschen seien davon ausgegangen, dass diese kartellrechtlich zulässig seien. Er habe diese Austausche bei Amtsantritt vorgefunden und sei nie von dem für Rechtsangelegenheiten zuständigen Vorstandsmitglied auf die Gefahr eines Kartellrechtsverstoßes hingewiesen worden. Auch der Leiter der Rechtsabteilung habe keine Anhaltspunkte für einen Kartellrechtsverstoß gesehen und auch nicht auf einen etwaigen Verstoß hingewiesen.
Das Verfahren und die Argumente der Beteiligten sind typisch für derartige Konflikte, ebenso wie die oben zitierten Klauseln in den D&O-Versicherungsbedingungen. Daher ist das Urteil besonders interessant.
- Manager kann vorweggenommenen Deckungsprozess anstrengen
Das LG bestätigt zunächst die Möglichkeit einer Feststellungsklage des Managers gegen den Versicherer, wenn dieser Deckung ablehnt und über die Haftung noch nicht rechtskräftig entschieden ist („vorweggenommener Deckungsprozess“). Ziel solchen Prozesses ist die Feststellung, dass der Versicherer hinsichtlich einer „genau zu bezeichnenden“ Haftpflichtforderung Versicherungsschutz gewähren muss. Der versicherte Manager kann zwar grundsätzlich keine Leistungsklage erheben, weil der Versicherer zwischen der Freistellung von Ansprüchen und deren Abwehr wählen kann und ihm dieses Wahlrecht nicht abgeschnitten werde darf. Das ändert sich nach dem Landgericht erst, wenn das Bestehen des Haftpflichtanspruchs rechtskräftig festgestellt ist[8]. Dann ist Leistungsklage möglich und geboten. Aber auch dies ist zu relativieren, wie das LG zur Feststellungsklage hinsichtlich der Versicherung des Vorstandsmitglieds gegen seine Selbstbeteiligung ausführt: Nach dem LG fehlt zwar grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn ein Kläger dasselbe Ziel mit einer Leistungsklage erreichen könnte. Jedoch bleibe auch bei möglicher Leistungsklage nach dem BGH eine Feststellungsklage zulässig, wenn Letztere unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie eine sinnvolle und sachgemäße Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte erwarten lässt, weil zu erwarten ist, dass der Schuldner auch ein Feststellungsurteil erfüllen wird. Dies ist bei Versicherern als Schuldnern regelmäßig der Fall.[9]
- Zulässigkeit einer D&O – Versicherung gegen Bußgeldregresse
Verneint man die Möglichkeit eines Bußgeldregresses gegen Manager, so erübrigt sich die Frage der D&O-Deckung. Bejaht man den Regress demgegenüber, so stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der Deckung durch D&O-Versicherungen. Im Schrifttum ist ganz überwiegend darauf hingewiesen worden, dass sich solche Deckung nicht mit Hinweis auf § 138 BGB verneinen lässt.[10] Zwar soll die Versicherung eigener Bußgeldrisiken gegen Sinn und Zweck der betreffenden gesetzlichen Sanktionen verstoßen. Vorliegend geht es aber um die Deckung der Regresshaftung des Organmitglieds für die Buße.[11] Jedoch wurde im Schrifttum auch bestritten, dass es sich beim Bußgeldregress um Vermögensschäden im Sinne der D&O-Versicherung handelt, da die Zahlung (indirekt) der Prävention diene.[12] Das LG Frankfurt folgt demgegenüber der h.M., sieht also keinen Verstoß gegen § 138 BGB. Denn es gehe ja bei der D&O-Versicherung nicht um eine Eigenschadendeckung des versicherten Unternehmens, sondern eine „Fremdhaftpflichtversicherung“, weil das Unternehmen die Haftpflicht des Vorstands als versicherter Person gegenüber dem eigenen Unternehmen versichere. Ferner liege im Bußgeld ein Vermögensschaden, und gegen einen Anspruch auf dessen Ersatz sprächen keine zwingenden Einwände. Denn die ursprüngliche Sanktion verbleibe beim Unternehmen und entfalte ihre Wirkung zuerst dort, während der Regress erst im Anschluss und mit ungewissem Ausgang unternommen werde.[13] Diese Überlegungen des LG müssen erst recht bei Versicherungsbedingungen wie denen des Streitfalls gelten, die, wie oben zitiert, gerade nicht nur „Vermögensschäden“ deckten, sondern auch „Entschädigungen mit Strafcharakter und für Regressansprüche der versicherten Unternehmen gegen versicherte Personen wegen gegen versicherte Unternehmen verhängter Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen, wenn und soweit deren Einbeziehung in den Versicherungsschutz kein gesetzliches Verbot entgegensteht“.[14] Das LG argumentiert unter Verweis auf Thomas[15] weiter, dass der Regressanspruch keine aufgrund öffentlicher Anordnung auferlegte Sanktion sei, sondern die Buße im Haftpflichtverhältnis ihren Bußgeldcharakter verliere und sich zu einer „normalen“ Vermögensschadenhaftpflicht des Organmitglieds wandle. Zu ergänzen ist dabei Folgendes: Unternehmensbußgelder sollen zwar auch die Gewinne abschöpfen, die die Tat für das Unternehmen abgeworfen hat (vgl. 17 Abs. 4 OWiG)[16]. Auch dies spricht aber nicht gegen den Regress. Denn haftungsrechtlich kommen beim Bußgeldregress die Grundsätze über die Vorteilsausgleichung zum Zug, so dass der Gesellschaft keine Vermögensvorteile aus der Tat verbleiben.[17] Ein erzielte Vorteil mindert den Schaden, und dies gilt zwangsläufig auch für die Versicherungsdeckung, weil die Deckung der Haftung folgt.[18]
- Wertung des Entwurfs der Novellierung des BSIG zum Bußgeldregress
Auch der Gesetzgeber stuft im Entwurf der Umsetzung der EU-Richtlinie 2022/2555 vom 14.12.2022 über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union (NIS-2-Richtlinie)[19] Unternehmensbußgelder als erstattungsfähige Vermögensschäden ein:
Die NIS-2-Richtlinie Vorgaben zur Verbesserung der Cyber-Sicherheit bei öffentlichen und privaten „Einrichtungen“, die kritische IT-Infrastruktur betreiben. Die Richtlinie betrifft keineswegs nur die Zuständigkeiten und Arbeitsweisen nationaler Behörden, sondern ist eine umfassende Kodifikation zur Cybersecurity in den EU-Mitgliedstaaten. Dabei greift sie auch in die Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche der Leitungspersonen der erfassten Unternehmen und Behörden („Einrichtungen“) ein. Sie schreibt ferner, wie bei EU-Richtlinien gängig, in ihrem Art. 40 vor, dass die Mitgliedstaaten auch Vorschriften über Sanktionen zu erlassen haben, die bei Verstößen gegen die betreffenden Vorgaben zu verhängen sind, und dass diese Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Auf der Grundlage solcher gängigen Vorgaben sehen die Mitgliedstaaten vor allem Unternehmensbußgelder vor, und es sind diese Unternehmensbußgelder, die die Fragen nach dem Bußgeldregress gegen die verantwortlichen Manager nach sich ziehen.
Die NIS-2-Richtlinie geht jedoch über diese gängigen Vorgaben hinaus. Sie widmet sich zusätzlich der eigenen Verantwortung der Leitungsorgane[20]: Nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Leitungsorgane wesentlicher und wichtiger Einrichtungen die ergriffenen Risikomanagementmaßnahmen im Bereich der Cybersicherheit „billigen, ihre Umsetzung überwachen und für Verstöße gegen diesen Artikel durch die betreffenden Einrichtungen verantwortlich gemacht werden können[21].“ Nach Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie wiederum haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die zuständigen Leitungspersonen einerseits „befugt [sind] zu gewährleisten, dass die Einrichtung [die] Richtlinie erfüllt“, und andererseits „für Verstöße gegen ihre Pflichten zur Gewährleistung der Einhaltung dieser Richtlinie haftbar gemacht[22] werden können.“ Zwar werden durchgängig Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung privilegiert; für sie bleiben Haftungsprivilegien nationalen Rechts“ (wie z.B. § 839 BGB) unberührt. Privaten Unternehmen kommen solche Privilegien nicht zugute.
Der Referentenentwurf des Bundesinnenministerium vom 03.07.2023 für ein „Gesetz zur Umsetzung der NIS-2-Richtlinie und zur Regelung wesentlicher Grundzüge des Informationssicherheitsmanagements in der Bundesverwaltung“[23] („BSIG-E“) nimmt den Ball der Richtlinie in bemerkenswerter Weise auf: Nach § 38 Abs. 1 BSIG-E sind Geschäftsleiter der sog. „wichtigen“ und „besonders wichtigen“ Einrichtungen verpflichtet, „die von diesen Einrichtungen zur Einhaltung [des BSIG] ergriffenen Risikomanagementmaßnahmen im Bereich der Cybersicherheit zu billigen und ihre Umsetzung zu überwachen. Die Beauftragung eines Dritten zu Erfüllung der Verpflichtungen … ist nicht zulässig“. Die Formulierung erweckt den Eindruck, die betreffenden Maßnahmen würden auf Arbeitsebene der Unternehmen (mit oder ohne Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden) entwickelt und installiert und die Geschäftsleitung dürfe sich ihnen nicht entgegenstellen. Die verunglückte Formulierung ändert nichts daran, dass die wesentlichen Fragen der Cybersicherheit gesellschaftsrechtlich von der Geschäftsleitung begleitet, entschieden und überwacht werden müssen. Vorliegend bedeutsam ist § 38 Abs. 2 BSIG-E, wonach Geschäftsleiter, die ihre Pflichten „nach Absatz 1 verletzen, … der Einrichtung für den entstandenen Schaden haften.“ (Ausgenommen werden Geschäftsleiter des Sektors öffentliche Verwaltung). Nach § 38 Abs. 3 BSIG-E ist ein Verzicht der Einrichtung auf Ersatzansprüche oder ein Vergleich darüber unwirksam, es sei denn, es liegt eine Insolvenzsituation vor. Der deutsche Gesetzgeber ignoriert damit nicht nur den in Fn. 20 erwähnten Erwägungsgrund (128) der Richtlinie, sondern gestaltet die Vorgabe persönlicher Haftung der Geschäftsleiter gemäß Art. 20 Abs. 1, Art. 32 Abs. 6 der Richtlinie besonders streng. Für die Diskussion um den Bußgeldregress bedeutsam ist, dass nach der Begründung des § 38 Abs. 2 „[v]om Schadensbegriff … sowohl Regressansprüche als auch Bußgeldforderungen umfasst“ sind. Wird dieser Federstrich des BSIG-E Gesetz, so würde der Gesetzgeber damit anerkennen, dass eine Geldbuße zwar eine Sanktion ist, aber – wie vom LG Frankfurt ausgeführt, für Regresszwecke einen Vermögensschaden darstellt, der am Ende vom verantwortlichen Verursacher zu tragen ist. Der BSIG-E belegt, dass aus gesetzgeberischer Sicht die Einwände gegen den Bußgeldregress (Zuschnitt der Buße auf das Unternehmen etc.)[24] nicht durchgreifen. Das aber rückt aus Sicht des Verfassers die verfassungs- und EU-rechtlichen Aspekte in den Vordergrund.[25] Über diese kann der deutsche Gesetzgeber auch im BSIG nicht disponieren.
- Voraussetzungen „wissentlicher“ Pflichtverletzungen
Von erheblichem praktischen Belang sind schließlich die Ausführungen, mit denen das LG die Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds und den betreffenden Deckungsausschluß der Versicherungsbedingungen verneint:
Das LG wiederholt zunächst das allgemeine Verständnis, wonach der Begriff der wissentlichen Pflichtverletzung einen Pflichtverstoß in positiver Kenntnis von der bestehenden Verpflichtung voraussetzt; bedingter Vorsatz, bei dem der Versicherte die Verpflichtung nur für möglich hält, reicht ebensowenig aus wie fahrlässige Unkenntnis.[26] Irrt sich die versicherte Person im Sinne eines Tatbestands- oder Rechtsirrtums über eine Rechtspflicht oder deren Inhalt, fehlt ihr das erforderliche Pflichtverletzungsbewusstsein.[27] Dabei muss der Versicherer die Wissentlichkeit belegen, und zwar durch Indizienbeweis, da es sich um innere Umstände handelt.[28] Nach dem LG Frankfurt hat der Versicherer zu diesem Zweck entsprechende Anknüpfungstatsachen vorzutragen. Dies gilt nur dann nicht, wenn sich nicht um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten (Kardinalpflichten) handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann.[29] Bei solchen Kardinalpflichten genügt es nach dem Landgericht, wenn der Versicherer zunächst einen Sachverhalt vorträgt, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherten zumindest hindeutet. Das LG stuft die Legalitätspflicht im Kartellbereich zwar grundsätzlich als elementare berufliche Pflicht ein, nicht aber in Bereichen, in denen die Rechtslage zu komplex ist. Den Bereich der Informationsaustausche hält das LG in diesem Sinne für zu komplex. Unabhängig hiervon habe das Vorstandsmitglied „ausreichend Umstände aufgezeigt“, die einen Schluss auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung verhinderten. Hier verweist das Gericht im Wesentlichen darauf, dass der Betreffende bei seinem Eintritt ins Unternehmen die Informationsaustausche bereits vorfand und diese von niemandem hinterfragt wurden, dass er nicht Jurist und nicht für Rechtsfragen zuständig war, der Hausjurist nicht auf die Problematik hingewiesen hatte, auch dem Hausjuristen die kartellrechtliche Problematik der Informationsaustausche erst spät klar wurde, und ein - spät eingeholtes - externes Rechtsgutachten zum Ergebnis kam, „im Großen und Ganzen“ entspreche das Verhalten des Unternehmens den kartellrechtlichen Vorgaben. Daher bejahte das Gericht einen Rechtsirrtum und verneinte Wissentlichkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen.
- Zusammenfassung
Das LG Frankfurt setzt Leitpfosten (1) zur Zulässigkeit des vorweggenommenen Deckungsprozesses per Feststellungsklage des versicherten Managers, (2) zur Zulässigkeit von D&O–Versicherungen gegen Bußgeldregresse sowie zum Bussgedregress als solchem und (3) zu den Voraussetzungen, unter denen der Deckungsausschluß wegen „wissentlichen“ Pflichtverletzungen greift. Alle drei Bereiche sind für die Praxis wichtig. Die Ausführungen des LG Frankfurt überzeugen und führen die Diskussion weiter. Was die umstrittene Frage des Bußgeldregresses angeht, so sind einerseits die Entscheidung des BGH in dem dort anhängigen Verfahren zu dieser Frage und andererseits die Weiterentwicklung des § 38 BISG-E bei Umsetzung der NIS-2-Richtlinine abzuwarten.
[1] Der Llano Estacao (Staked Plains) ist eine trockene Hochebene an der Grenze zwischen New Mexico und Texas. Aufgrund einer falschen Übersetzung des Namens ließ sich Karl May in „Unter Geiern“ zu der Deutung verleiten, dass dort Pfähle (Stakes) als Wegweiser gesetzt worden seien. Räuber, so May, sog. "Stakemen", versetzten die Pfähle, um Reisende irrezuleiten, verdursten zu lassen und auszurauben. Die Stakes des LG Frankfurt erscheinen demgegenüber zuverlässig.
[2] Überblick bei Reuter, Der Bußgeldregreß gegen Manager aus verfassungs- und EU-rechtlicher Sicht, CCZ 2023, 289, 290 ff.
[3] https://www.reutercomplianceblog.com/artikel/neues-zum-bussgeldregress-lg-dortmund-bejaht-olg-duesseldorf-verneint-den-regress-wegen-gwb-unternehmensbussen-gegen-das/; vertiefend Reuter, Der Bußgeldregreß gegen Manager aus verfassungs- und EU-rechtlicher Sicht, CCZ 2023, 289 ff.
[4] Ausführlicher Reuter, Der Bußgeldregreß gegen Manager aus verfassungs- und EU-rechtlicher Sicht, CCZ 2023, 289 ff.
[5] Siehe unten V.
[6] LG Frankfurt am Main, Urt. v. 20.01.2023, Az. 2-08 O 313/20.
[7] Nachw. bei Reuter, Der Bußgeldregreß gegen Manager aus verfassungs- und EU-rechtlicher Sicht, CCZ 2023, 289, 291 f.
[8] Ebenso Armbrüster, r + s 2010, 441, 447.
[9] BGH, Urteil vom 15.03.2006, Az.: IV ZR 4/05, Rn. 19 m. w. N..
[10] Thomas, NZG 2015, 1409, 1416 f.; Reuter, Unternehmensgeldbußen, Organregress, Grenzen der Versicherbarkeit und Gesellschaftsrecht: eine systemische Verletzung der Grundrechte der Anteilseigner? BB 2016, 1283, 1286 und 1288.
[11] Hauger/Palzer, ZGR 2015, 33, 64; Thomas, NZG 2015, 1409, 1416 f.; Reuter, Unternehmensgeldbußen, Organregress, Grenzen der Versicherbarkeit und Gesellschaftsrecht: eine systemische Verletzung der Grundrechte der Anteilseigner? BB 2016, 1283, 1286 und 1288, wohl auch Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Auf 2022, § 8, Rn. 24; a. M. Koch, Liber Amicorum für M. Winter, S. 327, 331; Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, Diss. 2012, S. 316.
[12] Gruber/Mitterlechner/Wax, D&O-Versicherung mit internationalen Bezügen, 2012, § 7, Rn. 8; m. w. N. bei Lenz, in: van Bühren (Hrsg.), Handbuch Versicherungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 25, Rn. 62.
[13] Das LG verweist insoweit auf Mitterlechner/Wax/Witsch, D&O-Versicherung, 2. Auflage 2019, § 7 Rn. 16; Bayer/Scholz, GmbHR, 2015, 449.
[14] Vgl. Reuter, Unternehmensgeldbußen, Organregress, Grenzen der Versicherbarkeit und Gesellschaftsrecht: eine systemische Verletzung der Grundrechte der Anteilseigner? BB 2016, 1283, 1286 und 1288.
[15] Thomas NZG 2015, 1409, 1416.
[16] Lenz, in: van Bühren (Hrsg.), Handbuch Versicherungsrecht, 6. Aufl. 2015, § 25, Rn. 58, m. w. N., siehe zum abschöpfenden Charakter einer Geldbuße der Kommission auch BFH, Entscheidung v. 7. Dezember 2022 – I R 15/19.
[17] Zur Kritik an der derzeitigen Abschöpfungspraxis Reuter, Unternehmensbußen – ein verfassungsrechtlicher Holzweg, ZIP 2018, 2298, 2300.
[18] Näher Reuter, BB 2016, 1283, 1288. Bei Geldbußen wegen Kartellrechtsverstößen schließen sich regelmäßig mehrjährige Kartellschadensersatzklagen an die Bußgeldentscheidung an, bei denen um die Höhe des Schadens und somit spiegelbildlich um die Höhe des erlangten Vorteils gestritten wird. Erst nach Abschluss dieser Klagen, kann festgestellt werden, ob und in welcher Höhe ein Vorteil bei dem Unternehmen verbleiben wird.
[19] Weiterentwicklung der (ersten) NIS-Richtlinie aus dem Jahr 2016 („EU-Richtlinie über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union“).
[20] Nach ihrem Erwägungsgrund (128) verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten allerdings nicht, eine strafrechtliche oder zivilrechtliche Haftung der für die Einhaltung der Richtlinie „verantwortlichen“ Leitungspersonen für Schäden vorzusehen, „die Dritten infolge eines Verstoßes gegen diese Richtlinie entstanden sind“. (Die deutsche Fassung spricht irrig von Haftung „gegenüber“ den betreffenden Leitungspersonen. Die englische und die französische Fassung verdeutlichen aber, dass es um Haftung der betreffenden Personen geht, nicht gegenüber diesen). Die Formulierung hat freilich wegen der in der Richtlinie selbst mehrfach verankerten Pflichten und Haftungsfolgen für die zuständigen Leitungspersonen nur beschränkten Belang).
[21] In der französischen Fassung: „puissent être tenus responsable“; in der englischen Fassung: „can be held liable“.
[22] In der französischen Fassung: „puissent être tenues responsables“; in der englischen Fassung: „Member States shall ensure that it is possible to hold such natural persons liable“.
[23] https://intrapol.org/wp-content/uploads/2023/07/230703_BMI_RefE_NIS2UmsuCG.pdf.
[24] Überblick über die Diskussion bei Reuter, Der Bußgeldregreß gegen Manager aus verfassungs- und EU-rechtlicher Sicht, CCZ 2023, 289, 290 ff.
[25] Dazu ebda., S. 293 ff.
[26] Statt aller Prölss/Martin/Voit, 31. Aufl. 2021, AVB D&O Abs. A_7 A-7, Abs. A_7_1 Rn. 2.
[27] Mitterlechner/Wax/Witsch, D&O-Versicherung, 2. Auflage, 2019, § 7 Rn. 6.
[28] Prölss/Martin/Voit, 31. Aufl. 2021, AVB D&O Abs. A_7 A-7, Abs. A_7_1 Rn. 4.
[29] BGH r+s 2015, 133; OLG Köln r+s 2012, 172 = VersR 2012, 560; BGH r+s 2015, 133 Rn. 20.
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Allgemein, Buß- und Strafrecht, Versicherung, Haftung und Regreß